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Zarin, sich an den Unternehmungen zu beteiligen, waren auch zahlreiche deutsche Gelehrte
gefolgt, die statt wirtschaftlicher Nöte und geistiger Enge in den deutschen Kleinstaaten eine
sichere Versorgung, großzügige Karrierechancen und wissenschaftliche Herausforderungen
in Russland erwarteten. Von den fünf naturkundlichen Expeditionen übernahmen der Rigaer
Mediziner und Naturforscher
Johann Anton Güldenstedt (1745-1781)
und der Tübinger
Botaniker
Samuel Gottlieb Gmelin (1744-1774)
die zwei „Astrachan-Expeditionen“ nach
Süden.
Ausgestattet mit den neuesten Instrumenten sowie einheitlichen von
Peter Simon
Pallas (1741-1811)
und Gmelin verfassten Generalinstruktionen, sollten diese nicht nur
geografische und botanische Beschreibungen, sondern ausdrücklich auch Beurteilungen des
Standes der Wirtschaft liefern. Gmelin orientierte sich dabei nach Persien, und Güldenstedt
ging in den zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Russland gehörenden Kaukasus.
Güldenstedt begann mit den von ihm ausgewählten 18 Begleitern Mitte Juni 1768 seine
Reise. Zwischenzeitlich als Arzt in den Diensten des georgischen Könighauses, begleitete er
seine potentiellen Patienten auf kleinen Feldzügen und Handelsreisen und konnte seinen
Forschungen nachgehen, bis er wie auch alle anderen Expeditionsteilnehmer aufgrund des
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ev-Aufstandes kurzfristig nach St. Petersburg zurückbeordert wurde, wo er 1775 wieder
eintraf. Sein Tod 1781 verhinderte eine vollständige Publikation seiner überaus reichen
Beobachtungen. Sie wurden teilweise von Pallas (1787, 1791) und ausführlicher von Julius
von Klaproth (1815,1834) veröffentlicht. Das umfangreiche Material beinhaltet nicht nur eine
Charakteristik der Böden, von Flora und Fauna, sondern auch eine Vielzahl ethnografischer
Beobachtungen, die auch Territorien des heutigen Aserbaidschan betreffen.
Während Güldenstedt von Nord- nach Südkaukasien reiste, unternahm der Botaniker
Gmelin von Juni 1770 bis April 1772 eine erste Reise in westliche und südliche Küstengebiete
des Kaspischen Meeres. Er fuhr zunächst über Astrachan, Derbent, Quba, Schabran nach
Baku, wo er die Naphtaquellen besichtigte und Schamachi sowie Salyan besuchte. Während
seiner zweiten Expedition, die Ende Juni 1773 begann, überquerte Gmelin erneut das
Kaspische Meer, um das östliche und südliche Ufer zu erkunden. Als er jedoch versuchte,
auf dem Landweg nach Astrachan zurückzukehren, wurde er gefangengenommen und in
das Bergdorf Achmedkent (Dagestan) verschleppt. Für seine Freilassung forderten die
Geiselnehmer 30.000 Rubel Lösegeld. Die Maßnahmen zu seiner Befreiung kamen jedoch zu
spät. Gmelin verstarb am 27. Juni 1774 wahrscheinlich an Ruhr und wurde in Achmedkent
beigesetzt. Seine Begleiter, der Orientalist Johann Jährig sowie sein Assistent Bauer, konnten
seine Reiseaufzeichnungen retten. Sie wurden von der Akademie an Güldenstedt und Pallas
zur Bearbeitung übergeben. Drei Bände seines Reisejournals hatte Gmelin noch selbst im
Winterquartier fertig stellen können. Hier finden sich vor allem botanische und zoologische
Ergebnisse; zahlreiche Vogelarten beschrieb er ebenso wie den im 19. Jahrhundert
ausgerotteten Steppentarpan (
Equus caballus gmelini
)
erstmalig. Zugleich verdanken wir ihm
wertvolle ethnografische Beschreibungen kaukasischer Volksgruppen wie auch Hinweise auf
die traditionelle Volksmedizin.