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unter der Leitung von Frau Eberle, neben dem Hotel „Germania“ eröffnete das Haus „Europa“
und in unmittelbarer Nähe der Zentralen Telefonstation befand sich das Hotel „Berlin“. Letzter
Umstand war vielleicht nicht verwunderlich, lag doch fast das gesamte Post- und Telegrafennetz
lange Zeit in den Händen der Familie Baron von Fitingof-Schel’: In Baku war Karl Theodor
tätig, in Länkäran sein Bruder Adolf und in Petrovsk schließlich Edgar Theodor.
Die Liste der Beispiele für die vielfältigstenAktivitäten deutschstämmiger Bürger und Bürgerinnen
im heutigen Aserbaidschan ließe sich weiter verlängern (Auch 2001, Gumbatova 2007). Hier konnte
nur einBruchteil „deutscher Spuren“ vorgestelltwerden, dieunsereLänder verbinden. Ausgeklammert
bleibenmusste die Sowjetzeit. Sie führte nicht nur deutsche Arbeiterdelegationen nach Baku, sondern
eine neue Generation von Fachkräften aus Deutschland und aus anderen Gebieten der Sowjetunion.
Ihnen folgten im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges Tausende deutsche Kriegsgefangene, die u.a. das
Kobaltwerk inDaschkäsänmit aufbauten, Straßen und Schienenwege bauten sowie an der Errichtung
des Regierungsgebäudes auf dem Platz der Freiheit beteiligt waren. In zahlreichen Orten finden sich
ihre Gräber, die heute von der aserbaidschanischen Bevölkerung gepflegt werden.
Versucht man eine Bilanz zu ziehen, so wird deutlich, dass sowohl Reichs- als auch
Russlanddeutsche in Konkurrenz und in Kooperation mit anderen Ausländern und den
einheimischen Eliten wichtige Träger der Modernisierung Aserbaidschans waren.
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ImHandel wirkten sie als Vermittler vonwesteuropäischen und amerikanischen Produkten.
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Kolonisten fördertendiemoderneVerarbeitung unddenüberregionalenAbsatz von landwirt-
schaftlichen Erzeugnissen (Winzerei, Likör- und Kognakproduktion, Milch- und Käseherstellung).
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Als Einzelne oder Angehörige spezifischer Gruppen von Fachkräften (Wissenschaftler,
Techniker, Lehrer, Kinderfrauen, Ärzte) wirkten sie, bewusst oder unbewusst, innovativ in
Wirtschaft und gesellschaftlichen Leben der multiethnischen und multikulturellen Umwelt.
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Und nicht zuletzt gehörte die deutsche Industrie zu den Hauptlieferanten während der
technischen Umstellung der russländischen Wirtschaft.
Die Stärken deutschen Unternehmertums in Aserbaidschan lagen dabei vor allem im
Aufbau einer modernen Infrastruktur (Nachrichtenübermittlung, Eisenbahn, Elektrifizierung,
Pipelinebau) und der Zuliefererindustrie des Maschinenbaus (Motoren, Kompressoren, Pumpen,
Kabel etc.), die auf den Erdölfeldern Bakus spezifischen Anforderungen, Konkurrenz- und
Kooperationsverhältnissen ausgesetzt war. An der Gewinnung und Vermarktung von Rohstoffen
(
Erdöl, Kupfer, Mangan, Baumwolle, Tierhäute u.a.) waren deutsche Firmen über deutsche
Banken oder Firmenvertretungen beteiligt. Eine Ausnahme stellten die Privatunternehmen
der Brüder Siemens (Kedabeg) dar. Spezialbranchen aus dem Konsumgüter-, Nahrungs-
und Genussmittelbereich sowie Dienstleistungen (Lehrer, Ärzte, Apotheker, Künstler) waren
Tätigkeitsfelder, die ein stabiles Einkommen sowohl für reichsdeutsche als auch russlanddeutsche
Fachkräfte boten. Wenn man fragt, was heute von deutschen Unternehmen, Investitionen,
Arbeitsleistungen, Ideen und Lebensformen geblieben ist, kann man sich weiter auf die Suche nach