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Die Mannesmann-Erfindung von gewalzten, nicht geschweißten Rohren
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kam in dieser
Situation äußerst gelegen, auch wenn es keine Vorbilder für das gewagte Projekt eines
Brennstofftransportes per Röhre gab. Der Bau einer ersten Rohrleitung für Masut von der
Eisenbahnstation Dalyar zur Kupferhütte der Siemens-Brüder nach Kedabeg kann so nicht
nur als eine Art „Probe“ für die Qualität der Mannesmann-Erfindung, sondern auch für die
Zusammenarbeit zwischen den Siemens und Mannesmann-Brüdern gelten.
Noch im Frühjahr 1889 entschlossen sich die Siemens-Brüder zum Bau. Doch obwohl die
Rohre für die Kedabeg-Leitung umgehend in Auftrag gegeben wurden, forderten Herstellung
und Transport mehr Zeit als angenommen. In Komotau/Böhmen gewalzt, stellten die Rohre
auf dem Weg per Bahn, Schiff und Pferdefuhrwerk über Triest, die Dardanellen, Batumi
und Elizavetpol‘ bis zum Verlegeort bereits ihre Robustheit gegenüber herkömmlichen
Gussrohren unter Beweis.
Zunächst wurde die Strecke vonDalyar über den 15 Kilometer entferntenOrt Tschavdachli
geführt, wobei das Hochplateau in über 1000 Meter über dem Meeresspiegel erreicht wurde.
Dort wurde der Brennstoff in Reservoire geleitet und nach Bedarf nach Kedabeg gebracht.
Die Leitung hatte einen Durchmesser von 100 Millimeter lichte Weite, und die Rohre
besaßen 4,5 Millimeter Wandstärke. Da zur Überwindung der Höhenunterschiede Pumpen
eingesetzt werden mussten, die von der Maschinenfabrik Humboldt in Kalk bei Köln geliefert
wurden, waren die Rohre mit einem Druck von 150 bar geprüft worden. Nach anfänglichen
technischen Komplikationen, die durch mangel- bzw. fehlerhafte Verbindungsstücke
(
Muffen) hervorgerufen wurden, welche nicht aus der eigenen Produktion stammten,
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und
nach einem Ausbrennen des Reservoirs in Dalyar 1891, konnte die Pipeline auf 22 Verst
problemlos genutzt werden. Um das Umladen zu vermeiden, entschloss man sich, die Strecke
bis Kedabeg zu verlängern, und seit 1894 arbeitet die erste Naphtatrasse Kaukasiens mit einer
Länge von 45 Kilometer.
Werner von Siemens stellte in seinemBericht über das Projekt fest, „daß es ganz unmöglich
gewesen wäre, ohne dieMannesmann’schen nahtlosen Stahlröhren diese nothwendige Anlage
herzustellen. Es bildet hoher Druck bis zu Hunderten von Atmosphären jetzt kein Hindernis
mehr für die Anlage von Rohrleitungen, und es werden von nun an Hochdruckleitungen
aller Art mehr und mehr nützliche Anwendung finden.“
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Wie zutreffend diese Feststellung war, sollte sich schon bald im Bakuer Erdölrevier
beweisen.
Die Brüder Mannesmann hatten bereits länger Kontakte nach Russland und sogar
die Absicht, dort ein Röhrenwerk zu gründen. Einsatzmöglichkeiten für Rohre gab es
ausreichend: Masten für die Elektrifizierung der Städte, Telegrafenmasten, Wasser- und
Gasrohre, Kesselrohre und nicht zuletzt Rohre für Bohrtürme, Bohrlochauskleidungen und
31.
Da sich die Verbindungsmuffen der ersten Pipeline nach der Fertigstellung 1891 als undicht erwiesen, musste die Leitung nochmals verlegt werden.
Die Kosten erreichten so 400.000 Rubel. Kölle (1917), S. 95, 103-105.
32.
Zitiert nach Wessel (1997), S. 4 (Man.).