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Deutsche Spuren im Bakuer Alltag
34.
Seit den 1890er Jahren gab es einen Kindergarten, der ausdrücklich nach „Fröbelschen Prinzipien“ arbeitete. Deutsche Kinderfrauen
und Gouvernanten waren stets Mangelware.
35.
Deutsche Lehrer an den Schulen und Gymnasien sowie in den Wohltätigkeitgesellschaften waren häufig.
36.
Während Karl als Architekt und Maler bis 1867 als Vertreter der Statthalterschaft das Baugeschehen beeinflusste, erste Stadtplanun-
gen durchsetzte, Lagerhäuser baute und sich für den Erhalt des Schirwanschah-Palastes einsetzte, projektierte sein Bruder Otto Gustav
Gippius (1826-1883) u.a. die Lutherische Kirche in Šemacha und 1871/72 die orthodoxe Kapelle auf den Friedhof in Baku.
37.
Der Name Zeitz stand nicht nur für köstliche Konditoreiwaren, sondern Bruder Rudolf unterhielt eine Posamentengalerie, wo er auch
mit Musikalien handelte.
War bisher von grösseren Industrieunternehmen und Bauaktivitäten die Rede, so wäre
das Bild vom Beitrag deutscher Fachkräfte und Firmen am Modernisierungsprozess in
Aserbaidschan unvollständig, wenn nicht auch weniger augenfällige Aktivitäten Erwähnung
finden würden. Ohne diese „kleinen Branchen“ bliebe ein wesentlicher Bereich ausgespart:
Die Veränderungen im Alltagsleben der Menschen, die diesen Prozess getragen haben.
Sie arbeiteten nicht nur, sondern sie lebten hier, ernährten sich, mussten sich kleiden. Im
Krankheitsfall waren pharmazeutische, orthopädische und optische Hilfsmittel erforderlich.
Eine gute Betreuung von
Kleinkindern
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war erwünscht, Freizeit wollte gestaltet sein und
konnte mit Kunst und Kultur gefüllt werden. Bildung war ein wichtiges Kriterium für
beruflichen und gesellschaftlichen
Erfolg.
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Im Folgenden können nur Beispiele genannt werden, wie Persönlichkeiten und deutsche
Firmen auf spezifische Art und Weise Einfluss auf die Alltagskultur Bakus nahmen.
Bevölkerungswachstum und zunehmender Reichtum in und um das Erdölgebiet Baku
führten um die Jahrhundertwende zwangsläufig zu einem Bauboom, der sich bis heute in
den zahlreichen sogenannten Gründerbauten des Stadtzentrums von Baku widerspiegelt.
Bekannteste Vertreter der Architekturgeschichte sind neben Karl
Gippius
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der Baumeister
N.A. von der Nonne, A.V. Eichler, F. A. Lehmkuhl, I.V. Edel, P. Stern und Drittenpreis.
Lebten 1863 rund 14.000 Menschen in Baku, waren es vierzig Jahre später über 206.000.
Nahm die bebaute Fläche (ohne Industriegebiete) bis 1843 ca. 64 Hektar ein, war die Zahl
bis 1914 auf 153,3 Hektar angewachsen. Allein im Zeitraum von 1878 bis 1900 wurden 9.282
neue Bauwerke errichtet, davon 7.578 Wohnhäuser. Im Jahr 1914 fanden sich unter den 19.829
Gebäuden 16.315 Mietshäuser, die zunehmend sowohl in der Innen- als auch Außengestaltung
eine interessante Symbiose westeuropäischer und orientalischer Kultur eingingen.
Neben demAnschluss anWasser und Abwasser, Stromund Telefon legten die BesitzerWert
auf europäische Standards in der Ausstattung. Dies begann mit Fußböden,
Tapeten,
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Öfen,
sanitären Einrichtungen und reichte bis zur Raumgestaltung mit Mobiliar und Instrumenten.
Bereits der Jahresbericht des Konsulats für das Jahr 1903 hatte vermerkt, dass „die
unzähligen verschiedenen Armaturen für Dampf-, Gas- und Wasserleitungen, welche vor
Jahren aus Deutschland geliefert wurden, Amerika durch seinen Rotguß (verdrängte), (...)