4
Würde man heute eine Bestandsaufnahme der deutschen Gemeinde in Aserbaidschan
machen, wiederholten sich Traditionslinien, die unsere beiden Völker schon seit
Jahrhunderten in ihren Beziehungen verbinden: Wir treffen – neben den Diplomaten -
zunächst auf die Vertreter deutscher Großunternehmen oder deutsche Geschäftsleute, die
ihren unternehmerischen Erfolg direkt oder indirekt vor allem mit dem zweiten Erdölboom
in Baku verbinden. Ihnen stehen sicher die Berater am nächsten, die im Rahmen deutscher
Entwicklungszusammenarbeit in unterschiedlichsten Projekten am Aufbau neuer Rechts-,
Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen mitarbeiten. Hinzu kommen Fachkräfte, die sich um
Wissensvermittlung und Wissenschaftskooperation bemühen oder als Künstler das kulturelle
Leben Bakus bereichern. Und nicht zuletzt finden wir jene Gruppe Alteingesessener, deren
Vorfahren noch unter den russischen Zaren aus deutschen Landen gen Russland zogen oder
auch die kleine Zahl der Deutschen, die durch eine Eheschließung Aserbaidschan zur zweiten
Heimat werden ließen.
Sie alle sind über den Deutsch-Aserbaidschanischen Wirtschaftsförderverein, den DAAD
oder die GIZ, die Evangelisch-Lutherische Gemeinde oder das Kulturzentrum „Kapellhaus“
mehr oder weniger miteinander verbunden. Damit stehen diese Gruppen auch heute noch
für die verschiedenen Pfeiler von historischen Kulturbrücken zwischen Deutschen und
Aserbaidschanern, die man vielleicht mit den Schlagwörtern „Voneinander wissen –
Miteinander leben und arbeiten – Voneinander lernen“ verallgemeinert umschreiben könnte.
In den vergangenen Jahrhunderten waren es vor allem Forschungsreisende, deutsche
Siedler, Unternehmer und Künstler, ja, auch manche Abenteurer, die es in die bis 1828
eroberten Südprovinzen des Russischen Reiches verschlug. Mit ihnen verbunden fühlten
sich auch jene, die – oftmals baltendeutscher Abstammung - als Militärs in den Reihen der
Zarenarmee oder als Beamte Dienst in Kaukasien taten und damit eine wichtige Funktion bei
der kolonialen Eroberung der Region bzw. ihrer kolonialen Verwaltung ausfüllten. Und fast
übergreifend gehörten Geistliche dazu, die bis zu ihrer Verfolgung in den 1930er -Jahren und
dann mit demWiedererstehen der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Baku seit Mitte der
1990
er-Jahre einen wichtigen Beitrag zur Wahrung der Identität ihrer Gemeindemitglieder
leisteten und leisten.
Sicher sind sich nur wenige Vertreter der heutigen deutschen Community in Baku der
außerordentlich interessanten Vorgeschichte ihres heutigen Tuns und Seins bewusst, um die
uns britische, französische und amerikanische Kollegen auch manchmal beneiden. Denn die
Traditionen deutsch-aserbaidschanischenMiteinanders sind – trotz mancher Idealisierung – in
Aserbaidschan sehr lebendig, und die Achtung vor der Hinterlassenschaft deutschen Wirkens
kann auch heute noch Türen für neue Projekte der Zusammenarbeit öffnen.
Insofern ist die kritische Beschäftigung mit der gemeinsamen Vergangenheit eine
hochaktuelle, aber auch nützliche Aufgabe, der sich diese Ausstellung der Heydär Äliyev
Stiftung in Deutschland widmet.
Einleitung