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Siemens & Halske hatte sich nach dem Auslaufen der Remonte-Verträge nach neuen
Geschäftsfeldern umgesehen und sich neben Telegraphen auf die Produktion von Kabeln,
Signalanlagen, Dynamos und elektrischen Motoren verlegt. Der Bahnbau bot eine günstige
Möglichkeit, diese Produkte in Transkaukasien abzusetzen. Diese Erweiterung des
Firmenprofils vom Telegrafenbau zum führenden Produzenten von Elektrotechnik markierte
bereits eine neue Phase in Siemens‘ Geschäftstätigkeit.
Nach der Rückkehr von Carl Siemens aus London nach St. Petersburg (1881) hatte die Firma
mit dem elektrischen Betrieb von Eisenbahnen begonnen und 1882 auf der „Allrussischen
Industrieausstellung“ erstmals in Russland eine elektrische Bahn vorgeführt, die vom Zaren
besonders gelobt wurde. Sie brachte dem Unternehmen das Recht ein, den Doppeladler des
Zaren im Briefkopf zu führen. Das damit dokumentierte Ansehen konnte Siemens nutzen,
um im Zuge der Elektrifizierung Russlands neue Geschäftsfelder zu erschließen. Allerdings
sollte Siemens dabei die wachsende Konkurrenz deutscher, ausländischer wie auch russischer
Unternehmen deutlich zu spüren bekommen und den Bau von elektrischen Straßenbahnen
überwiegend der Berliner AEG sowie belgischen Firmen überlassen. Ein deutsches Projekt
zum Bau der Straßenbahn in Baku wurde zu diesem Zeitpunkt nicht realisiert.
Klarer ist die Rolle deutscher Firmen bei der Elektrifizierung des zur damaligen Zeit größten
Erdölfördergebietes der Welt, der Halbinsel Apscheron.
Nach dem Bau einer eigenen Kabelfabrikin St. Petersburg agierte Siemens seit Ende der
1870
er/Anfang der 80er-Jahreerfolgreich bei der Installation von Lichtanlagen. 1898 wandelte
das Unternehmen die St. Petersburger Filiale in eine AG und brachte sie in die neugegründeten
Russischen ElektrotechnischenWerke Siemens &Halske AG St. Petersburg“ ein, die 1906 und
1913
durch Umstrukturierungen und Fusionen mit den russischen Tochtergesellschaften von
AEG, Felten Guilleaume Lahmeyer AG und Schuckert und Co. eine Monopolstellung auf dem
russischen Markt behaupten konnten.
Wie aus Quellen des Bakuer Historischen Archivs ersichtlich ist, gingen dem
Fusionierungsprozess gerade auf den Erdölfeldern von Baku harte Auseinandersetzungen aber
auch intensive geschäftliche Beziehungen voraus. Bereits seit den 1880er-Jahren hatte Siemens
mit der Fa. Tillmanns & Co. die Elektrifizierungsgesellschaft „Svet“ gegründet, die hier erste
Anlagen der Gebr. Nobel und private Objekte wie das Ferienhaus des Ölmillionärs Asadullaev
elektrifizierte. Anfang der 1890er-Jahre überlegte Rothschild (Paris), ein Zentralkraftwerk
zu errichten, und 1898 gründeten Bakuer Ölfirmen eine „Elektrizitätsgesellschaft Baku –
Apscheron“, um bei der Ablösung der Dampfmaschinen durch die weniger feuergefährlichen
Elektromaschinen nicht dem Rothschildschen Monopol ausgeliefert zu sein. In Anbetracht der
GrößedeszuerwartendenGeschäftskames1899aufAnratenderBankenzumVertragsabschluss
zwischen der Internationalen Bank, S &H, der Russischen Elektrizitätsgesellschaft „Union“ und
der AEG (Berlin) über die Eröffnung einer gemeinsamen Bakuer Filiale, die als „Elektrosila-
Baku“ nicht nur „Svet“ übernahm, sondern vor allem durch die Nutzung der planerischen
Leistungen und der technischen Zulieferungen von Siemens & Halske die Elektrifizierung
sowohl der städtischen Zentren als auch aller Erdölfelder trug.