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Jahr später versorgte das neue Wasserwerk die Stadt. Die Anlage der Firma „Artur Koppel”
war von 1900 bis 1905 mit zehn und ab 1908 mit zwölf Dampfkesseln ausgerüstet, konnte
die wachsenden Bedürfnisse nach Trinkwasser jedoch ebenfalls nicht befriedigen. Zugleich
erhöhte sich der Bedarf der Förder- und Industrieanlagen dramatisch.
Eine grundsätzliche Lösung ließ lange auf sich warten: Noch 1899 hatte sich die Stadtduma
erneut anverschiedeneausländische Ingenieuregewandt, umdieHeranführungvonFlusswasser
zu prüfen. Im Oktober 1899 kam zu diesem Zweck auch V. (William/Wilhem) Lindley (gest.
1917)
nach Baku, dessen Projekt die Stadtduma am 5. Mai 1909 annahm. Interessant ist in
diesem Zusammenhang, dass der Zeitgenosse Leo Stenzel in seinen Erinnerungen von einem
deutschen Baurat” Lindley mit Sitz in Frankfurt a.M. spricht. Genauere Auskunft über die
britisch-deutschen Verbindungen geben die Akten des Historischen Archivs in Baku nicht. Fest
steht jedoch, dass 1911 unter der Leitung von Lindley mit dem Bau einer neuen Wasserleitung
begonnen wurde und zahlreiche russische wie internationale Firmen als Subunternehmen,
Zulieferer und Financiers daran beteiligt waren
4
.
Interessiert an der Bauausführung hatte
sich eine deutsch-russische sowie eine italienische Firma gezeigt, aber zunächst erhielt die
englische Firma „Griffits & Co.” (London) den Zuschlag. Als diese die Arbeit im Sommer
1913
einstellte und auf dem Gerichtsweg versuchte, Vertragsänderungen durchzusetzen,
übernahm die Stadtverwaltung den Weiterbau. Bis zu diesem Zeitpunkt waren von „Griffits
&
Co.” zwei Tunnel von 1.565,11 Metern und 18.575 Metern Leitungsrohre verlegt (von
insgesamt 156.744 geplantenMetern bis zum15.2.1914) verlegt undmit Bohrungen in Scholar
begonnen worden. Parallel zum Gerichtsstreit übergab die Stadt den Bau der Pumpenzentrale
und der Betonreservoirs in deutsche Hände. Die Pumpen lieferte eine Maschinenfabrik aus
Aschersleben (Sachsen-Anhalt)
5
,
die gusseisernen Röhren eine Warschauer Firma
6
.
Das Projekt stellte aufgrund der schwierigen geografischen Bedingungen, wie die
Notwendigkeit ,extreme Höhenunterschiede zu überwinden, und die zu überbrückende
Entfernung, eine technologische und menschliche Herausforderung dar. Das Wasser musste
aus dem Fluss Scholar, etwa 180 Kilometer nördlich von Baku, entnommen werden und
war die längste und modernste Trinkwasserleitung im damaligen Europa. Trotz aller Opfer
und Störungen, die zuletzt durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und Sanktionen
gegenüber deutschen und österreichischen Zulieferern verursacht wurden, konnte am 22.
Januar 1916 Lindley das erste Wasser durch die Leitung fließen lassen. Nach verschiedenen
Ergänzungsbauten erfolgte am 18. Februar 1917 die feierliche Einweihung der neuen
Wasserleitung an der Quelle „Nachyr-bulagy”. Die Ehre gebührte G. Z. A. Tachiyev, der
sich zeitlebens für eine Verbesserung der Wasserversorgung eingesetzt und den Bau durch
zahlreiche Spenden unterstützt hatte.
4.
Vgl.
NARA
(
Baku), f. 389.
5.
Bericht von Leo Stenzel (Manuskript), S. 28.
6.
AA (Konsulat Baku, Jahresbericht für 1913), Bl.119.